#20 Kurvenrausch in Peru

#20 Kurvenrausch in Peru

Nur sehr ungerne verlasse ich mein Turmzimmer mit Blick auf den Titicaca-See und eigener Hängematte. Ich genieße noch den Ausblick aus meinem Bett bei einer Tasse frisch gebrühten Kaffee. Als ich mich endlich aufraffen kann, hört es draußen sogar auf zu regnen.

Bis zur peruanischen Grenze ist es nicht weit und die Formalitäten sind schnell erledigt.

Der Grenzbeamte, der für den temporären Import meines Motorrades zuständig ist, weist mich darauf hin, dass ich für Peru eine separate Fahrzeugversicherung benötige. Diese erhalte ich in der nächsten Stadt, für rund 50 US$.

Eigentlich wollte ich Puno umfahren, muss jetzt allerdings in die Stadt, um mir die Versicherung zu besorgen. Schnell ist dank dem Internet eine passende Agentur gefunden und eine sehr freundliche Mitarbeiterin empfängt mich bei Schlagern aus den 90’ern. Maria ist Fan deutscher Musik und lernt täglich die deutsche Sprache. So wird es ein sehr entspannter Versicherungsabschluss und zum Schluss kommt natürlich noch das obligatorische Foto mit Motorrad und Fahrer.

Peru empfängt mich freundlich und ich freue mich auf das Land und dessen Bewohner.

Das erste was mir direkt auffällt, es gibt Millionen von Tuc-Tucs. Jene dreiräderigen Droschken die mit einem 200 ccm Zweitaktmotor angetrieben werden. Alle sind in mannigfaltigstem Design gepimmt und häufig dröhnt, wie überall, laute Musik aus dem plastikummantelten Fahrzeug.

Ich halte noch schnell an einer Polleria, einer Hähnchenbraterei, und genehmige mir ein Mittagessen. Das leckere Essen aus Argentinien und Chile gibt es seit Bolivien nicht mehr, und ich vermisse meine so lieb gewonnen Empanadas und Schnitzel alla Milanese. Auch gibt es hier kein Brot mehr. Man isst hier nur noch kleine Weißbrotfladen, häufig schon alt und knochentrocken.

So schnell als möglich verlasse ich die quirlige Stadt Richtung Norden. Es hat wieder angefangen stark zu regnen und ich beschließe, den Besuch der Floating People auf ein anderes Mal zu verschieben. Ich muss eh wiederkommen und Bolivien in Ruhe besuchen, das nächste Mal außerhalb der Regenzeit und mit deutlich mehr Zeit. Ich denke, wenn man Bolivien gerecht werden möchte, muss man mindestens vier bis sechs Monate einplanen. Das Land hat extrem viel zu bieten und ist dabei das Kostengünstigste in ganz Südamerika.

Die Landschaft ändert sich auch diesmal extrem. War es am Titicaca-See noch bergig und bewaldet, hat man hier den Anschein, man wäre in der Mongolei. Endlose Hochebenen reichen bis zum baumlosen Horizont. Es ist windig und kalt und meine Heizgriffe bewähren sich hier Tag für Tag.

Ich finde in der Karte eine Abkürzung und versuche mein Glück, ein paar Kilometer einzusparen.

Was man leider auf der Karte nicht gesehen hat, nach 25 km ändert sich die asphaltierte Straße in eine schlammige Piste und ohne darüber nachzudenken drehe ich um. Ganz interessant ist es, den gleichen Weg noch einmal zurück zu fahren. Das Licht kommt in einem anderen Winkel und die Landschaft erscheint komplett anders. Gerade als sich die Gewitter abregnen wollen, erreiche ich ein kleines verschlafenes Städtchen und beziehe ein einfaches Hostel. Es kostet für die Nacht 15 Solores, knapp 5 €. Gemäß dem Motto “You get what you paid for“ darf man bei diesem Preis auch nicht viel erwarten. Es gibt ein kahles Zimmer mit zwei einfachen Pritschen. In der Ecke steht eine alte Rücksitzbank aus einem Auto, auf der man es sich bequem machen kann. Durch die einfachverglasten Fenster zieht der kalte Wind und man hört von der Straße jedes Geräusch.

Was es in keinem der Zimmer in den letzten Monaten gab, ist eine Heizung. Es wird nur der Koch-Wohnraum mit dem Herd geheizt, niemals aber andere Zimmer. Dabei ist es gerade Sommer und die Temperaturen erreichen hier im Hochland nachts keine 10’C. Wie ungemütlich muss es erstmal im Winter sein. Dafür hat jedes Bett mindestens 5 alte Decken um sich vor der bitteren Kälte zu schützen. Obwohl Decke wahrscheinlich nicht das richtige Wort dafür ist. Es handelt sich eher um uralte schwere Teppiche, mit denen man sich zudecken soll. Ich habe es einmal ausprobiert und mich mit den „Decken“ zugedeckt. Alle zusammen waren so schwer, dass ich mich wie in einer Zwangsfixierung in einer geschlossenen Anstalt gefühlt habe. Ich habe für solche Fälle immer eine kleine Fleece-Decke aus einem Flugzeug dabei. Diese wird auf das meist nicht frisch bezogene Bett gelegt und darauf kommt dann mein Daunenschlafsack. Um die Kissen wickele ich dann noch meine Fleece-Jacke und das Kuschelbett ist fertig. Für ganz kalte Nächte habe ich zur Not noch mein Schafsfell dabei, welches ich dann mit in meinen Schlafsack nehme.

Das Abendessen ist mal wieder spartanisch, es gibt Hühnersuppe mit Nudeln und altem Brot.

Es ist an diesem Abend so kalt, dass mir mein Bier noch nicht einmal mehr schmeckt.

Das heutige Ziel ist Ollantaytambo, eine kleine Stadt, die strategisch gut liegt, um von hier den Machu Picchu zu besuchen. Die Fahrt gestaltet sich aber wie so häufig zur Geduldsprobe. Die einzige Straße dorthin ist an zwei Stellen verschüttet, und ich rege mich ein wenig darüber auf, dass man kein Hinweisschild am Anfang der Straße aufstellt. So fahren alle Fahrzeuge die 40 km in die Sackgasse, um dann wieder umzudrehen.

Aber das Wort umkehren fehlt in meinem Wortschatz. Also frage ich den Polizisten an der Straßensperre nach einem anderen Weg. Dieser zeigt mir auf meiner Landkarte eine kleine Passquerung. Kurze Zeit später befinde ich mich im grünen Hochland von Peru und fahre auf Wirtschaftswegen zwischen riesigen Ackerflächen, die mit Mais, Getreide und Kartoffeln angebaut sind. Wiedermals windet sich der kleine Weg in die Höhe empor und wird schlammiger und rutschiger. Mein Hinterrad dreht beim kleinsten Gasstoß durch und meine Trude stellt sich quer.

Ich bin eigentlich schon viel zu weit gefahren, als ich kapitulieren muss. Zu groß ist die Gefahr, dass ich mich mit dem Motorrad auf die Nase lege. Nach gut zwei Stunden erreiche ich dann wieder die Asphaltstraße und freue mich sehr über den festen Untergrund. Ein Übernachtungsplatz ist dank App schnell gefunden und ich rolle entspannt, aber dreckverschmiert in die Stadt Urubamba.

Am Abend recherchiere ich, welche Möglichkeiten es gibt, den Machu Picchu zu besuchen.

Dieses ist komplizierter als man denkt, da keine Straße zu der Ausgrabungsstätte führt. Man muss theoretisch erst mit einem Zug nach Aqua Calientes reisen, um von dort mit Shuttelbussen auf den Berg zu gelangen. Der ganze Spaß, inklusive einer Übernachtung kostet ca. 250 – 300 US$. Allein die einstündige Zugfahrt schlägt mit 150 US$ zu buche, die Busfahren jeweils 25 US$ etc.

Hinzu kommt, dass es aktuell nur noch Tickets für den sehr häufig verregneten Nachmittag gibt. Ein Ticket für den frühen Morgen zu bekommen, ist erst wieder in fünf Tagen möglich.

Ich überlege, was ich machen soll und beschließe, den Machu Picchu auszulassen. Ich müsste knapp eine Woche hier ausharren, um dann ein Ticket zu haben, ohne Garantie etwas von dem außergewöhnlichen Ort zu sehen. Wie gesagt, ich muss eh wiederkommen, um Bolivien und Peru in Ruhe zu bereisen. Das nächste Mal komme ich nicht in der Regenzeit und dann mit einem 4×4 Fahrzeug, in dem man schlafen kann. Auch werde ich meine Lebensgefährtin mitnehmen, um ihr dies alles in Ruhe zu zeigen.

Schweren Herzens reise ich am nächsten Tag weiter. Es regnet bereits als ich vom Hof meines Hostels fahre, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, und es nervt mich nicht einmal mehr.

Es ist halt nur schade, dass hinter den dicken Wolken die so schöne Szenerie der Natur versteckt bleibt. Die Landschaft sieht hier aus wie im grünen hügeligen Schottland. Herden von Rindern äsen auf baumlosen saftigen Weiden. Die Straße trocknet ab und es bereitet riesige Freude, mit dem offenen Helm bei frühlingshaften Temperaturen den Fahrtwind im Gesicht zu spüren. Am Wegesrand schnäbeln Gänse in den großen Pfützen und zahllose Schweine suchen mit ihren Nasen im schlammigen Gräben nach Essbaren. In jedem zweiten Dorf kommt natürlich wieder die obligatorische Hundeattacke.

Eine alte Dame in ihrer traditionellen Tracht trägt ein Bündel Mais auf ihren Schultern und macht ein Zeichen, dass sie gerne mitgenommen werden möchte. Sie läuft mit dem Rücken zu mir und hört nur meinen lauten Auspuff, als sie den Daumen auf und ab bewegt. Ich mache mir einen Spaß und halte neben der alten Dame, deren Gesicht von jahrzehntelanger harter Arbeit auf den Feldern gezeichnet ist. Ich deute an, dass ich sie mitnehmen möchte. Sie sieht mich und mein Motorrad an, bis sich unsere Blicke wieder treffen. Wir sehen uns einen kurzen Augenblick an, bevor wir beide laut loslachen müssen. Sie redet mit einem riesigen zahnlosen Lachen auf mich ein und ich erwidere auf Deutsch. Wir beide winken uns kurz zu und dann sehe ich das Mütterchen im Rückspiegel langsam verschwinden. Ich schätze, die Frau war bestimmt 80 Jahre alt, aber sie holte noch ihren Mais selber vom Feld und trug das große und bestimmt nicht leichte Bündel auf ihren Schultern zu ihrer Hütte.

Sie war nicht griesgrämig oder schlecht gelaunt deswegen, sondern noch für einen kleinen Spaß zu haben. In solchen Augenblicken wird mir so häufig bewusst, wie gut es uns allen in Europa geht und ich bin sehr dankbar dafür, in diesem Teil der Welt geboren zu sein.

Täglich durchfahre ich dutzende Dörfer und kleine Städte. Auf allen Straßen in Peru und Bolivien sind Fahrbahnschwellen angebracht. Diese sind unterschiedlich hoch und wenn man einen dieser Schweller übersieht, schlägt es einem schon mal den Lenker aus den Händen oder man bekommt einen kräftigen tritt in den Hintern. Es nervt über den Tag, hunderte davon zu überqueren, allerdings

bestätigt ihre Funktion den Sinn dieser Maßnahme. In Dörfern, wo diese fehlen reduziert niemand die Geschwindigkeit und es wird mit Vollgas durch die belebten Innenstädte gefahren.

So fahre ich in Schritttempo durch die Dörfer und habe Zeit mir das Leben und die Umstände anzusehen unter den die Bewohner hier leben. Dort wo das Klima warm ist, findet das Leben auf der Straße statt. Es wird gekocht und gegessen, gespielt und gearbeitet. Man sitzt in Gruppen unter einfachen Wellblechhütten und sinniert in den Tag hinein. Unzählige Hunde, Hühner, Schweine und Esel leben auf den staubigen Straßen der Siedlungen. Alle laufen frei herum und überqueren immer im letzten Augenblick die Straße. Fast jeder Bewohner der Hauptstraßen hat irgendeine Art von Laden. Häufig sind es Kioske, in dem man das Nötigste kaufen kann und egal in welchen dieser Läden man geht, alle haben dasselbe Angebot. Den Sinn von Marktwirtschaft hat hier noch niemand verstanden. So gibt es in größeren Städten immer Straßenzüge, wo das gleiche Handwerk angeboten wird. So reiht sich dort Autoschrauber an Autoschrauber, Bäckerei an Bäckerei und Hähnchenbude an Hähnchenbude. Niemand kommt auf die Idee mal einen Imbiss auf eine andere Straße zu eröffnen oder eventuell mal eine andere Speise anzubieten. Ich betone „alle“ haben die gleichen Gerichte und teilweise ist sogar die Außenwerbung dieselbe.

Ich esse fast ausschließlich in solchen Straßenküchen, da das Angebotene immer frisch und zudem der Preis sehr günstig ist. So kostet zum Beispiel ein Mittagsmenü mit Suppe und Hauptgang immer unter 2 €. Man kann nicht wählen, was man für ein Menü essen möchte…es ist einfacher, es gibt nur eins.

Zu 90 % gibt es eine Hühnersuppe, folgend von Reis mit Hähnchen oder, wenn man Glück hat, gibt es frittierten Schweinebauch. Auf den Tischen steht meistens eine selbst gemachte Salsa… scharf und gut. Wenn ich mich zum Essen dann zu den anderen Gästen setze, werde ich ständig bis ins Letzte gemustert. Ich muss für die einfachen Menschen wirken wie ein Lebewesen aus einer anderen Galaxie, mit meinem riesigen Motorrad, meiner Motorradkombi und dem ständig blinkenden GPS-Transponder an meiner Brust. Aber immer weicht die Skepsis nach einem bestimmten „Buenos Dias“ und freundlichen Lachen in die Runde.

Zum wiederholten Mal überquere ich das Altiplano um nach Nazca zu gelangen. Das Altiplano ist eine Hochebene zwischen Chile und Peru, welche auf einer durchschnittlichen Höhe von 4000 m liegt.

Es hat eine Länge von 1800 km und eine Breite zwischen 300-400 km. Mal wieder ist es mit 5’C sehr kalt und dichter Nebel verhindert ein zügiges Fahren. Die Landschaft ähnelt den norwegischen Hochfjells, die meist baumlos und sehr karg sind. Auf dem Hochplateau passiert es mir an diesem Tag dreimal, dass LKWs die Kurven so scheiden, dass ich mit einer Vollbremsung in die Bankette ausweichen muss. Einmal ist es so eng, dass ich schwören könnte, ich hätte kleine Blitze zwischen meinem Lenkerende und dem Fahrgestell des LKWs gesehen. Jedes Mal brülle und fluche ich laut und überlege, dem Idioten nachzufahren und ohne ihn zu fragen, ihm einfach eins auf die Nase zu geben.

Als ich nach Stunden der Fahrt ausgekühlt und frierend in Nazca ankomme und vor einer Straßenküche halte, werde ich kopfschüttelnd begrüßt. Ich habe meine Regenkombi, Fleece und Daunenjacke noch an und hier hat es 28’C. Stück für Stück lege ich meine Bekleidung ab und freue mich über den warmen Wind, der mich auftaut. Ich muss an dieser Stelle nicht mehr erzählen, was für ein Mittagsmenü hier angeboten wird.

Nach einer guten Stunde Pause fahre ich zu einem Hostel, welches ich mir ausgesucht habe. Es ist günstig, hat Wlan und einen sicheren Parkplatz für mein Motorrad. Freundlich begrüßt mich Lucia und zeigt mir mein Doppelzimmer, welches ich zum Glück alleine beziehen darf.

Nach einem Schläfchen in einer Hängematte mach ich mich daran, das Frontend meiner Twin zu zerlegen. Seit meinem Ausflug in die schlammigen Berge, fährt das Motorrad wie auf Eiern. Es schlingert und wackelt und hat kein genaues Einlenkverhalten mehr. Den Luftdruck und die Speichen habe ich bereits kontrolliert. Ich finde den Fehler recht schnell und er ist fix behoben. Das Rad und die Gabel waren verspannt, welches bei einer Flussdurchfahrung passiert ist.

Zufrieden falle ich an diesem Abend auf mein Bett, worüber ich mein Moskitonetz gespannt habe. Die Nacht ist tropisch heiß und Hunde bellen in der Nachbarschaft die ganze Nacht.

In dem Hostel herrscht eine familiäre Stimmung und jeder deckt den Tisch und räumt mit auf. Zum Frühstück gibt es leckere Spiegeleier, bevor ich mich auf den Weg zum Flughafen mache. Heute habe ich einen Rundflug über die 2000 Jahre alten Nazca-Linien gebucht. Der ganze Spaß kostet 65 US$ und dauert mit Transfer gute zwei Stunden.

An dem kleinen Flughafen angekommen, dauert es keine fünf Minuten bis ich im achtsitzigen Flieger sitze. Aus dem Flugzeug hat man die einzige Möglichkeit, die teilweise kilometerlangen Zeichnungen zu erkennen. Es ist beeindruckend, was man bereits vor Christi Geburt erschaffen konnte. Die längste Zeichnung ist über 20 km lang und absolut gerade. Wie man damals die Zeichnungen mit so einer Präzision herstellen konnte, ist bis heute ungeklärt.

Den Nachmittag verbringe ich in der Hängematte und gehe nur kurz zum Zentralmarkt, um meinen von den Hundeattacken zerfetzten Regenkombi flicken zu lassen. Dank dem Internet finde ich abends ein gutes Restaurant und ich gönne mir ein köstliches Ossobuco in Rotweinsauce. Es ist das teuerste Gericht auf der Karte und kostet 12 €. Es tut gut, sich endlich mal wieder satt zu essen.

Ich habe in den letzten drei Monaten recht viel überflüssiges Gewicht verloren und bin gespannt,

wenn ich mich das nächste Mal auf eine Waage stelle. Mittlerweile muss ich in allen Hosen einen Gürtel tragen und meinen Motorradkombi habe ich schon dreimal enger gestellt.

Am nächsten Morgen starte ich früh, denn ich will der Mittagshitze entgehen. Die Klimaverhältnisse hier in Peru sind heftig. Man kann innerhalb eines halben Tages drei bis vier Klimazonen durchfahren. Das stellt natürlich an die Bekleidung höchste Ansprüche und ist nicht zu unterschätzen. Schnell hat man sich eine kräftige Erkältung zugezogen. Mehrmals am Tag wechsele ich meine Jacken und Handschuhe.

Heute geht es bei heißen 34’C an der Küste entlang ins nahe gelegene Ica. Es sind nur 150 km und ich erreiche die große Stadt bereits am frühen Vormittag. Es wird Wäsche gewaschen und sich um die Ausrüstung gekümmert.

Als es früher Abend wird, besuche ich die Oase Huacachina, die unwirklich 3 km vor der Stadt mitten in einem riesigen Dünenmeer liegt. Die Oase hat sogar einen natürlichen See, wo viele Besucher baden oder ein Picknick machen. Ansonsten ist die Oase selbst durch und durch touristisch geprägt, und wenn man sie von einer Düne aus beobachtet hat, gibt es nicht mehr viel, was ein Verweilen herauszögern würde. So setze ich mich auf eine der vielen Dünen und sehe dem Sonnenuntergang zu. Als ich die Düne besteige, bemerke ich, wie spielend einfach und ohne aus dem Atem zu kommen ich die Sanddüne hochlaufen kann. Es macht sich das fünf wöchige Höhentraining auf durchschnittlich 4000 m Höhe bemerkbar.

Lima, die Hauptstadt von Peru und mit über 8,5 Millionen Bewohnern, werde ich mir nicht antun.

Ein absolut chaotisches Verkehrsnetz und eine hohe Straßenkriminalität machen mir die Entscheidung leicht, diesen Moloch zu umfahren.

So wähle ich die Ruta 24, die direkt wieder in die Berge führt. Es soll einer der schönsten und abwechslungsreichsten Fahrtage meiner ganzen bisherigen Reise werden. Die Landschaft ändert sich halbstündig und bietet alles, was man sich vorstellen kann. Die Umgebung erinnert an Süditalien, ans Voralpenland, an das Sauerland, später an die französischen Schluchten von Verdon oder Ardeche. Hervorragender Asphalt auf schmalsten Straßen ohne viel Gegenverkehr machen das Motorradfahren zum Genuss. Die Vegetation ist teilweise subtropisch und Palmen, Bananenbäume oder Kakaobäumen machen darauf aufmerksam, dass ich mich langsam aber sicher, Richtung Äquator bewege. Es riecht intensiv nach Stangensellerie und Ginster. Alle Flüsse, die aus den Bergen kommen sind nicht mehr braun, wie in den letzten Wochen, sondern kristallklar sprudelt das Wasser in die Täler hinunter. Häufig sehe ich Angler, die versuchen eine spezielle Forellenart, hier Trucha genannt, zu fangen.

Oft halte ich an, setze mich in das Gras und genieße die Stille der Natur. Es wird bereits dunkel, als ich das kleine Bergdorf erreiche, um dort mein Nachtlager aufzuschlagen. Es gibt mal wieder Suppe und altes Brot. Als ich mich vor die Tür des Hostels setze, befinde ich mich direkt schon auf dem Marktplatz. Hunde streuen herum, Kinder spielen fangen vor der alten und bunt bemalten Kirche, ältere Herren sitzen auf Bänken und diskutieren und im Hintergrund rauscht laut der Bergbach.

Einfach schön..! Ich schlafe hervorragend in dem alten Bett, welches in einem Zimmer steht, was höher als breiter ist.

Der Tag startet mit einem Kaffee im morgendlichen Sonnenschein und einem kleinen aber warmen Stück Kuchen. Schnell ist das Motorrad gepackt und kurvig geht die Reise weiter. Nach wenigen Kilometern verengt sich die Schlucht so sehr, dass man keinen Himmel mehr sieht. Eng windet sich die schmale Straße mit dem reißenden Gebirgsbach durch die Schlucht. Wasserfälle stürzen von den Hängen und bieten mir eine unwillkommene Abkühlung. Es dauert noch drei Stunden bis ich die nächste große Stadt Hunacayo erreiche. Im Nachhinein gesehen, war diese Strecke eine der schönsten auf den letzten 19.000 km.

Von hier aus geht es direkt gen Norden. Eine ausgebaute Hauptstraße macht das Vorankommen entspannt und schnell. Als ich gegen Mittag aus einem Städtchen herausfahre, steigt mir ein leckerer Geruch in die Nase. Am Straßenrand bietet man Spanferkel vom Grill feil. Es gibt nichts, was mich jetzt noch stoppen könnte. Ehe ich mich versehe sitze ich mit einem Speichelsturz, an einem zu kleinem Plastiktisch unter einem bunten Sonnenschirm. Binnen Minuten halte ich ein leckeres frisches Brötchen, gefüllt mit Pulled-Pork vom Stück, kross gegrillter Schwarte, scharf eingelegten Zwiebeln und einer kräftigen Sauce, in meinen Händen. Es ist der Himmel auf Erden. Mir läuft die leckere Sauce links und rechts am Kinn herunter und meine Finger glänzen vom Fleischsaft. Es ist so lecker, dass ich mir direkt eine zweite Portion bestelle. Schließlich habe ich die letzten 24 Stunden einen Teller Suppe und ein kleines Stückchen Kuchen gegessen.

Als ich satt und zufrieden im Schatten sitze, bekomme ich noch eine gute Tasse Kaffee. Der ganze Spaß, mit einem Getränk, kostet zusammen 3,50 €. Besser geht es nicht!

Gut gestärkt und ausgeruht geht es auf die letzten Kilometer in die Mienenstadt Cerro de Pasco.

Sie liegt auf einer Höhe von 4330 m und ist so das hässlichste, was man sich an Stadt vorstellen kann.

Schlamm läuft über die holperigen Straßen und es windet und regnet mal wieder. Unzählige Tuc-Tucs wimmeln in den Straßen hin und her. Ich bin müde vom Tag und freue mich auf meinen warmen Schlafsack. Irgendwo in der Nachbarschaft läuft eine Karaoke-Anlage auf Hochtouren und Unbegabte singen um ihr Leben. Mir ist es egal… ich stecke mir meine Ohropax in die Ohren und falle in einen verdienten Schlaf. Morgen wird ein heftiger Tag. Alle meine Navigationsgeräte errechnen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von maximal 27 /km. Das lässt auf nichts Gutes schließen.

Früh starte ich den Motor und das Thermometer zeigt 3’C. Ich erkundige mich beim Besitzer des Hostels noch nach dem Weg. Er rät mir von meiner geplanten Route ab und empfiehlt mir eine deutlich bessere.

Schon der Weg aus der Stadt ist abenteuerlich und die Straße ist kaum Straße zu nennen. Schnell gewinnt die Piste an schlammigen Höhenmetern und Wolken verhindern die Fernsicht. Die Piste wird schmaler und schmaler. Ich passiere eine große Mine mit regem Schwerlastverkehr und bin beruhigt, denn die LKWs müssen sich ja auch auf sicheren Straßen bewegen.

Aber es kommt anders. Der mittlerweile nur noch schmale Weg klettert Meter um Meter in die Höhe. Häufig fließt knöchelhohes Wasser hinunter. Es gibt keine Möglichkeit, das schwere Motorrad hier zu wenden, also bin ich gezwungen, dem Weg weiter zu folgen. Als ich über den Grad fahre, sehe ich, was mir bevorsteht. Eine Serpentien-Abfahrt vom allerfeinsten, allerdings alles schlammig und von hohen Absätzen gluckert das Wasser gen Tal. Ich muss schlucken und überlege, was ich machen soll. Solange es bergab geht, sehe ich kein Problem. Also lege ich den ersten Gang ein und lasse langsam die Kupplung kommen. Serpentine um Serpentine geht es bergab. Es geht sogar besser als gedacht. Jedes Mal, wenn ich den Blick von der Piste nehme und in den tiefen Abgrund schaue, stockt mir der Atem und ich merke, wie das Adrenalin meinen Körper flutet. Ich konzentriere mich nur auf die nächsten 10 m vor meinem Vorderrad und blende alles andere aus. Irgendwann komme ich im Tal an und bin heil froh, dass ich nicht die Kontrolle über das Moped verloren habe.

Als mein Navi bereits das Erreichen der Hauptstraße anzeigt, höre ich plötzlich lautes Trillerpfeifen und ich stoppe. Ein Arbeiter in grellem neon-orange winkt hektisch und fordert mich auf umzudrehen. Ich öffne meinen Helm und sehe ihn fragend an. Hektische Gesten folgen. Die Straße sei gesperrt und ein Weiterfahren unmöglich. Ich solle umdrehen und den ganzen Weg wieder zurückfahren. WAS??? Mir platzt der Kragen und ich brülle den armen Mann so an, dass er große Augen bekommt und einen Schritt nach hinten weicht. Es liegt wahrscheinlich an dem noch reichlich vorhanden Adrenalin in meinem Blut, aber es dauert eine Zeit, bis ich mich wieder einkriege und mich bei dem Mann entschuldige. Ich versuche ihm klar zu machen, dass ich mit meinem schweren Motorrad die Straße nicht hochfahren kann, und dass es eine andere Möglichkeit geben muss. Über sein Walkie-Talkie kontaktiert er seinen Chef, der zugleich mit drei anderen Angestellten erscheint. Es folgt eine hitzige Diskussion. Als der Chef merkt, dass ich nicht den Berg wieder hinauffahren werde, schlägt er mir vor, einen noch in Bau befindlichen Tunnel zu nutzen, um die Stelle zu umfahren. Ein Fahrzeug bringt mich zum Eingang des Tunnels und eine provisorische Schranke öffnet mir den Weg. Da stehe ich nun. Loses Geröll unter meinen Reifen und ein dunkles schwarzes Loch in einem Berg wartet darauf, mich zu verschlingen. Langsam rolle ich in die Dunkelheit, damit meine Augen sich an die Umgebung anpassen können. Von der Decke tropft Wasser und der Boden ist schlammig. Es ist dunkel wie die dunkelste Nacht und meine Scheinwerfer werden trotz Fernlichtes in dem Nichts verschlungen. Ich atme noch einmal tief durch und fahre los.

Im Schritttempo fahre ich langsam zwischen grobem Geröll und Schlaglöchern, die gefüllt sind mit klebrigem Schlamm bergab. Ich muss anhalten um mein Navi und mein Handy auszuschalten, denn diese blenden mich so sehr, dass ich nichts vor mir erkennen kann.

Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, komme ich recht gut voran, jedoch begleitet mich die ganze Zeit ein Gefühl der Beklemmung. Nach knapp 3 km verlasse ich die Unterwelt und bin heilfroh, wieder ans Tageslicht zu gelangen. Die Strecke wäre im Hellen wahrscheinlich recht einfach zu meistern gewesen, aber im Dunkeln war dies auf jeden Fall eine Herausforderung.

Wenig später rolle ich dreckig bis unter die Haarspitzen ins langersehnte Dörfchen und mache eine verdiente Pause mit Coke und Schoki.

Wenn mir jemand zu diesem Zeitpunkt gesagt hätte, es komme noch schlimmer, ich hätte nur müde gelächelt…!

Die nächsten 80 km fahre ich auf einer gut ausgebauten Straße in die Stadt Huánuco und entspanne mich und meine Knochen. Dort macht die Hauptstraße 3N einen Knick und geht von hier aus 170 km gen Westen. Ich denke mir noch nicht viel dabei, als ich wenig später in eine Baustelle fahre, denn es ist ja weiterhin die 3N und viel schlechter als bisher wird sie sich ja nicht ändern.

Aber wie so häufig, sollte ich mich auch jetzt irren. Die Baustelle war nur der Anfang einer komplett im Umbau befindlichen Hauptstrecke durch die Berge, die den Osten mit dem Westen verbindet. Die befahrbare Breite ist maximal 2,40 m und von groben Geröll und Schlamm bedeckt.

Auf einem schmalen Grad windet sich die Straße um die Berge, immer von einem hunderte Meter tiefen Abgrund begrenzt. Keine Leitplanken, kein Schutz nur der tiefe Abgrund.

Soweit kennen wir die Situation ja, aber nun ist auf der Strecke mit endlosem Gegenverkehr von Bussen, LKWs und unendlich vielen PKWs zu rechnen. In jeder Kehre muss man die langen Fahrzeuge mehrmals zurücksetzen, um die Kurve zu passieren. Vor ein paar Tagen bin ich in Bolivien den Camino de la Muerte gefahren, die als gefährlichste Strecke der Welt gilt. Aber gegen dieses Stück Piste ist die Strecke in Bolivien ein Spaziergang. Vor mir passieren zwei Kleinbusse an einer breiteren Stelle sich gegenseitig, als auf der Talseite ein kräftiges Stückchen Piste abbricht und ins Tal stürzt. Ich habe Gänsehaut am ganzen Körper und versuche so ruhig wie möglich zu bleiben. Ich fahre gerade auf eine Kehre zu, als von vorne ein mit Baumaterial beladener LKW ums Eck kommt und mich so schneidet, dass ich in die Böschung gedrückt werde und das Motorrad nicht mehr halten kann. Nun ist die Straße noch enger, da das Motorrad halb auf der Straße liegt und trotzdem drängeln sich knapp 20 Fahrzeuge noch durch die Engstelle. Niemand hält an, um mir zu helfen, das Motorrad wieder auf die Räder zu stellen. Ich brülle und schreie die Vorbeifahrenden an,

die sich amüsierend an den Fenstern die Nase plattdrücken. Als dann noch ein LKW über meine Reifen fährt platzt mir endgültig der Kragen. Ich stelle mich auf des kleine Stück Piste, was noch übrig ist, und strecke die gehobene flache Hand aus, um das nächste Fahrzeug anzuhalten. Der Kleinbus macht keine Anstalten zu stoppen und ich mache keine Anstalten den Weg frei zu machen. Er oder ich. Ich bin zu allem bereit, zur Not zerre ich den Fahrer am Kragen aus seinem Bus. Kurz bevor der Bus meine Hand berührt stoppt das Fahrzeug. Allerdings macht niemand den Anstand auszusteigen. Ich mache dem Fahrer klar entweder müsse er mir helfen oder er müsse mich überfahren. Es dauert seine Zeit, bis er meine Entschlossenheit erkennt und sich aus seinem Bus bequemt. Schnell ist das Moped zu zweit aufgerichtet und der Verkehr rollt weiter. Es dauert 6 Stunden bis ich das Ende der Straße erreicht habe und man drängt mich ein zweites Mal in die Böschung. Alles in allem war es mit Sicherheit das anstrengendste und gefährlichste Stück Straße in meinem Leben. Ich weiß nicht, wie viele Unfälle und Todesopfer diese Straße jährlich fordert, da meine Recherche im Internet keine Ergebnisse brachte.

Es dämmert bereits als ich endfertig in meiner Unterkunft ankomme. Als ich wach werde, habe ich noch alle meine Motorradsachen an und liege auf dem Bett, wo ich einfach eingeschlafen bin.

Heute bin ich in Huaraz, einer mittelgroßen Stadt, die von der Cordillera Blanca umgeben ist. Die Cordillera Blanca ist eine Kette von bis zu 6700 m hohen Bergen, unter denen auch der höchste Berg Perus ist. Schneebedeckt ragen die Riesen in den blauen Himmel. Ich werde hier ein paar Tage Pause machen und neue Kräfte sammeln. Die nächste Strecke ist in Planung und verspricht alles andere als langweilig zu werden…!


4 Antworten zu “#20 Kurvenrausch in Peru”

  1. Hallo Danni !

    Passend zum Wochenende gibt´s wieder spannenden Lesestoff. 😉
    Na, das nenne ich mal eine anständige Portion Abenteuer, ganz großes Kino !
    Auch die Bilder, wirklich wieder super schön.

    Ich drücke die Daumen, dass der Spaß noch lange so weiter geht und freue mich schon auf das nächste Kapitel.

    Dir weiterhin eine eine spannende und sichere Reise.

    Gruß aus dem wilden Westerwald !
    Achim

  2. Mann,Mann Danni…was du da alles auf dich nimmst…
    Wie immer super spannend zu lesen und die tollen Bilder zu sehen…Pass auf dich auf so das du Heike irgendwann alles zeigen kannst…bis auf die 3N vielleicht.
    Liebe Grüße von Diana und Jürgen

  3. Wow,
    wieder ein super geschriebener Reisebericht (da hast du Talent für) und wahnsinnig schöne Bildern. Danke dafür und gerne weiter so.
    Boa wie rücksichtslos die Fahrer an der Schlucht waren, unglaublich, „über den Reifen gefahren“, ich wäre auch ausgerastet.
    Gute Erholung von den Strapazen, super gemeistert!
    Beste Grüße Axel

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