#16 Flucht aus den Anden

#16 Flucht aus den Anden

Seit zwei Tagen bin ich nun in Tinogasta und entspanne auf einem schönen Campingplatz. Die Besitzer sprechen englisch und so bekomme ich viele Infos über Land und Leute. Nachts regnet es immer in Strömen und hier im Hochtal schwellen langsam die Flüsse an. Als ich an diesem Morgen den Paso San-Francisco in Angriff nehmen will, erkundige ich mich bei der örtlichen Polizei über den aktuellen Streckenzustand. Die Antwort überrascht mich nicht wirklich. Auf dem Weg zum Pass gibt es drei Dutzend Flüsse zu queren und die Straße ist an vielen Punkten durch Schlammlawinen unpassierbar. Wann der Pass wieder zu befahren ist, können mir die hilfreichen Beamten nicht sagen. Ok, soweit so gut! Zum Glück bin ich nicht auf der Hälfte des Weges und zwischen den Hindernissen gefangen. So disponiere ich schnell um und werde den nächsten nördlich gelegen Pass nehmen. Der Paso Sico liegt ca.1000 km weiter in Argentinien und ich benötige dazu drei Tage Fahrzeit. Nachdem ich an meiner Lieblingstankstelle, der YPF-Station, getankt und gefrühstückt habe, mache ich mich auf dem Weg. Die Tankstellenkette ist deshalb zum liebsten meiner Orte geworden, weil man hier alles über Strecken erfährt, es einen besonders guten Kaffee und Gebäck gibt, man hier guten Kraftstoff beziehen kann, es saubere Toiletten gibt und weil man hier Dollar tauschen kann. Nicht zu vergessen das schnelle und kostenfreie WIFI.

Die Landschaft ändert sich an diesem Tage jede Stunde, angefangen von wüstenähnlichen Abschnitten bis hin zur subtropischen Vegetation. Auch gibt es Abschnitte, in denen man denken könnte, man wäre in Arizona. Bis zu 6 m hohe Kakteen säumen den Weg und bilden zu den knallroten Bergformationen einen perfekten Kontrast. Heute gilt es nur Asphalt zu fahren, worüber ich sehr glücklich bin. Unterwegs quere ich viele Flüsse, in denen die braun-roten Wassermassen aus den Bergen in die Täler strömen. Tja, ich bin leider zu spät! Die Regenzeit hat begonnen. Noch vor einer Woche war hier alles trocken und befahrbar. Auch ist es traurig, da die ganzen Quellwolken die Sicht auf die Anden und die wunderschöne Landschaft verhindern. Aber was soll ich machen, es ist halt so. Auf den letzten Kilometern zu meinem Tagesziel säumen unzählige Weinanbaugebiete den Weg. Satt hängen üppige Trauben an den Reben. Es muss wohl ein gutes Jahr für die Winzer werden. An der Campsite angekommen, springe ich erstmal in den Pool und trinke ein leckeres kühles Blondes. Das Zelt baue ich erst kurz vor dem Sonnenuntergang auf, damit es die Tageshitze nicht unnötig erwärmt und man einen kühleren Schlaf bekommt.

Ich brauche es nicht zu erwähnen, es sollte mittlerweile klar sein: Laute Musik beschallt den Platz und findet in einer Karaoke Show von deutlich Talentfreien ihren Höhepunkt. Zum Glück gibt es hier ab 21 Uhr eine Nachtruhe.

Der nächste Fahrtag vergeht wie der Vorherige. Da ich auf dem Weg immer nach den Pistenzuständen frage, bekomme ich auch heute einen guten Tipp. Die Ruta 40 ist ab San Carlos eine sehr schlechte und ausgewaschene Piste. Man kann diese über die RP 68 umfahren. Die Strecke ist zwar ein wenig länger, man fährt aber einen deutlich höheren Stundenschnitt und ist somit deutlich entspannter am Ziel. Die Umfahrung entpuppt sich als Volltreffer. Eine der schönsten Landschaftsabschnitte offenbart sich mir. Abwechslungsreicher kann eine Motorradstrecke nicht sein. Hinzu kommt ein perfekter Straßenbelag, der die 150 km zum wahren Kurvenrausch entstehen lässt. Heute zeigt das Thermometer wieder 36’C an und ich suche mir ein ruhiges Plätzchen zum Schlafen. Ich bin allein mit einer argentinischen Familie auf dem Platz durch den ein kleiner Fluss fließt, der die Umgebung kühlt, und werde zum Essen eingeladen. Es gibt eine Art Flammkuchen, welche auf dem offenen Feuer zubereitet werden. Ich spendiere mein Six-Pack und es wird mit Hilfe des Google-Translaters ein netter Abend. Wenn es diesen Übersetzer nicht gäbe, wäre eine solche Reise nur schwer möglich. Da er auch offline arbeitet, rettet er mich in den letzten Wochen aus so manch sprachlicher Einbahnstraße. Was mich zum Thema Sprache bringt.

Nein, ich spreche kein spanisch. Es ist halt etwas anderes, wenn man die Landessprache perfekt spricht und man sich mit den Einheimischen austauschen kann. Hinzukommen der Dialekt und der Alkoholpegel der Gesprächspartner, die eine Unterhaltung vor große Probleme stellt.

Ich bin mir sicher, wenn ich die Sprache beherrschen würde, würde ich auch deutlich langsamer unterwegs sein. Man bekommt mehr Tipps und Infos und es ist halt kurzweiliger. Bevor ich aber allein irgendwo in einem Café sitze und mich bei jedem Zweiten entschuldigen muss, dass ich die Sprache nicht spreche, fahre ich lieber Motorrad.

Mein heutiges Ziel ist San Antonio de los Cobres. Ein schöner Fahrtag, der dem gestrigen sehr ähnelt. Früh steige ich in den Pass ein und gewinne recht schnell Höhenmeter. Die Landschaft ist wieder der absolute Knaller und kaum in Worte zu fassen. Häufig sieht man in die Weite und wird überwältigt von der Vielfalt der unterschiedlichsten Landschaftsstruktur. Auch heute hängen schon dunkele Wolken in den Gipfeln der Andenberge. Es ist früher Nachmittag, als mein Weg diese kreuzt und es die ersten heftigen Regenschauer gibt. Ich bin sehr froh über den Asphalt, der mich über den Pass trägt. Die Regenfälle wandeln sich zu äußert eindrucksvollen Gewittern. Mittlerweile bin ich wieder auf einer Höhe von 4000 m und bereits deutlich über der Baumgrenze. Als die ersten Blitze zeitgleich mit den Donnern in die nahen Berge einschlagen und mich ohrenbetäubend dazu auffordern, suche ich Unterschlupf in einer maroden Bushaltestelle. Während es kirschgroße Körner hagelt, genieße ich meinen heißen Kaffee aus meinem Thermobecher. Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei und ich setze die Fahrt fort, werde aber bald darauf wieder gezwungen anzuhalten, da das nächste Gewitter aufgezogen ist. Als ich in San Antonio de los Cobres ankomme, regnet es in Strömen. Nach kurzer Suche finde ich ein trockenes Plätzchen in einem Hostel. Während ich kein Bier, sondern einen Kaffee trinke, höre ich in meinen Körper hinein, denn wir befinden uns mittlerweile auf einer Höhe von 4300 m. Ich habe leichte Kopfschmerzen, also nichts Wildes. Müde mache ich ein kleines Päuschen und werde durch deutlich heftigere Kopfschmerzen geweckt. Ich schiebe es dem zu wenig Getrunkenem zu und fülle mein Flüssigkeitshaushalt mit 1Liter Wasser auf. Draußen geht zur gleichen Zeit die Welt unter. Ein Gewitter jagt das Nächste und auf dem Innenhof steht bereits knöchelhoch das Regenwasser. Ich ahne nichts Gutes. Morgen muss ich 280 km Piste fahren, die sich bestimmt in keinem guten Zustand befinden wird.

Müde gehe ich ins Bett, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Mein Kopf brummt und es wird mir schwindelig. Innerhalb einer Stunde bekomme ich Fieber und Durchfall. Als meine Hände und Finger anfangen, stark zu kribbeln, ist mir klar… ich leide unter akuter Höhenkrankheit.

Als ich im Internet nach Symptomen und Behandlungsmethoden suche, wird mir der Ernst der Situation bewusst. Direktes Absteigen aus der Höhe wird sofort geraten, was aktuell allerdings unmöglich ist. Zudem soll man blutdrucksenkende Medikamente und reinen Sauerstoff verabreichen. Die dünne Luft verursacht eine Organunterversorgung an Sauerstoff und lässt das Blut gerinnen, welches dann zu Ödemen in den Blutbahnen führt. Was das heißt, brauche ich hier nicht erklären. Ich werde ziemlich unruhig und frage den Hostelbesitzer um Rat. Er beruhigt mich, indem er auf ein privates Krankenhaus in der Stadt verweist. Als die Köchin von meiner Situation erfährt, kocht sie mir einen Tee aus Coka-Blättern und gibt mir eine Handvoll davon um diese zusätzlich zu kauen.

Ich bin über jede Art von Handeln froh und folge der Anweisung. Innerhalb einer guten Stunde normalisiert sich meine Temperatur und viele der Symptome werden erträglich oder verschwinden. So liege ich also die halbe Nacht, Coka-Blatt kauend auf meinem Bett und beobachte meine körperliche Verfassung. Irgendwann in den frühen Morgenstunden falle ich dann in einen sehr unruhigen Schlaf. Als ich aufwache, habe ich immer noch die Blätter in der Backentasche und fühle mich unglaublicher Weise sehr fit. Ich bekomme ein spärliches Frühstück und sitze bald darauf im Sattel meines Motorrades, fest mit der Absicht, so schnell als möglich die Höhe zu verlassen.

Als ich den Innenhof verlasse, sehe ich das Chaos. Ich hatte fast schon vergessen, dass es die ganze Nacht geschüttet hatte. Alle Straßen sind überflutet und total matschig. Nachdem ich schnell meine Benzinvorräte gefüllt habe, komme ich an die erste Straßensperre der Polizei. Ich kann mir denken was los ist und steige vom Zweirad ab, um mit den Offiziellen zu sprechen.

Alle Straßen, bis auf eine, sind bis auf Weiteres gesperrt. Schlammlawinen haben fast alle Abfahrten verschüttet. Es gibt nur eine Piste, die ins nächste Tal führt. Entschlossen, diese Höhe zu verlassen, mache ich mich auf den Weg. Schon nach zwei Kilometern stecke ich bis zu den Achsen in frischem Morast. Ich bin sehr dankbar über meine neuen Reifen und für jeden einzelnen Millimeter des Profils. Ohne meine jahrelange Enduro-Erfahrung wäre ich bereits nun am Ende des Weges angelangt. Nach weiteren fünf Kilometern wird mir klar, dass ich diese Piste keine weiteren 180 km fahren werde. Bislang habe ich das Moped noch nicht versenkt und ich will Mensch und Material schonen. Als ich umdrehe und alle bewältigten Passagen wiederholt durchfahren muss, ist mir trotzdem klar, dass dieses die richtige Entscheidung ist. Schlammverdreckt komme ich wieder an meinem Startpunkt an. Ich stoppe in einer riesigen Pfütze und reinige mich und das Moped vom gröbsten Schlamm. Zurück an der Polizeikontrolle erkläre ich, dass auch dieser Weg nicht passierbar sei. Auf meine Frage hin, ob es einen weiteren Weg gäbe, bekomme ich nur ein Achselzucken.

Ok…soweit so gut! Ich versuche logisch alles abzuwägen. Aufgrund der Höhenkrankheit muss ich umgehend ins Tal, alle offiziellen Wege sind unpassierbar, dunkele Wolken kündigen die nächsten heftigen Gewitter an und die Pistenzustände werden sich in der nächsten Zeit nicht verbessern, sondern eher deutlich schlechter werden. Der Entschluss steht fest, es muss heute ein Weg gefunden werden. Kurz überlege ich, wer mir helfen könnte. Als ich die Truckfahrer am Wegesrand warten sehe, frage ich die ortskundigen Kraftfahrer nach Alternativen. Der vierte Fahrer kennt einen Weg, der in keiner meiner Navigationsgeräte steht. Er führt von Dorf zu Dorf und wird nur noch selten von Bauern benutzt. Der Entschluss ist gefasst, der Weg oder keiner! Ich stocke schnell Wasser und Lebensmittel auf und mache mich auf den Weg um den Einstieg zu finden.

Die Strecke ist hundsmiserabel, aber fahrbar. Schnell komme ich mit meinem schweren Gefährt an die Grenzen des Machbaren. Aber es geht. Meter für Meter, Kilometer um Kilometer arbeite ich mich durch die Herausforderungen. Flussdurchfahrten, blanker Fels, tiefer Schotter und Sand und ausgewaschene Abfahrten machen es nicht einfach. Mit jeder leichten Sport-Enduro und zwei Kollegen wäre das wahrscheinlich eine riesen Gaudi. Aber ich bin mutterseelenallein, habe keine genaue Strecke und wenn ich das Moped irgendwo festfahre, muss ich wahrscheinlich tagelang im Dauerregen, auf offener Fläche kampieren. Keine guten Vorzeichen, aber ich habe keine andere Wahl. Zu meiner Freude verschwinden nach zwei Stunden die Wolken und es scheint die Sonne.

Zweimal kann ich im tiefen Schotter und Sand das Motorrad nicht mehr kontrollieren und stürze.

Also zweimal Gepäck ab, Fahrzeug aufrichten, bepacken und weiterfahren. Alles in allem läuft es aber gut und nach 90 km wird die Piste sogar durchaus gut zu befahren. Als ich nach knapp vier Stunden endlich Asphalt erreiche, freue ich mich wie ein kleiner Schneekönig! Ich mache eine kleine Pause und befülle die Reifen wieder mit Normaldruck.

Wenn mir zu diesem Zeitpunkt jemand gesagt hätte, dass es an diesem Tag noch heftiger wird, dann hätte ich müde und gelassen gelächelt.

Gut gelaunt mache ich mich auf den Weg zum Paso Jama, der noch 150 km entfernt ist. Die Straße windet sich mit besten Kurven den Berg hoch. Fahrspaß pur. So eng liegen Tiefpunkt und Hochgefühl beieinander. Es läuft gut und ich mache schnell Meter. Bald bin ich auf einer Höhe von 4800 m und die Gewitterwolken ziehen wieder auf. Unbeeindruckt setzte ich meine Fahrt voraus, werde aber bald von dem ersten Gewitter eingeholt. Erst kommen kleine, dann größere Tropfen und dann folgt Hagel in Erbsengröße. Nichts was mich schockt. Was mich schockt, ist ein rotes Aufflackern des Reifendruckkontrollsystems. Totaler Druckverlust am Vorderreifen! Ach du Scheiße, kein Platten, BITTE… nicht jetzt und ausgerechnet nicht hier. Aber so ist es.

Ich stoppe das Motorrad und kontrolliere den Reifen. Absolut platt! Es war kein schleichender Plattfuß, das hätte das System mir frühzeitig gemeldet. Das wiederum bedeutet, ich brauche keinen Druck auf den Reifen zu geben, er würde umgehend wieder entweichen. Wiederum checke ich meine Möglichkeiten. Hierbleiben und zwischen den äußerst beeindruckenden Blitzen den Schlauch wechseln oder irgendwie ein wenig Schutz suchen. Ich entscheide mich für Letzteres. Langsam humpele ich mit dem Platten weiter den Berg hoch. Nach 20 km komme ich an der Grenzstation an und suche mir ein Plätzchen für die anstehenden Arbeiten. Ich finde eine leere Garage, in die ich mich einfach hineinstelle. Als der Besitzer Protest einlegt, einigen wir uns auf den Platz davor und ich darf den Schlauch unter der Bedachung wechseln. Fix ist das Rad ausgebaut und der Reifen von der Felge gezogen. Ich sehe mir den Schlauch an und muss feststellen, dass dieser falsch montiert war. Eine Art Verschlingung hatte den Schlauch aufgerieben und zum Platzen gebracht. Zum Glück habe ich einen Ersatzschlauch dabei, den ich einziehen kann. Dieses ist nicht einfach, da es sich um extra dicke Schläuche handelt und diese recht widerspenstig in der Handhabung sind. Nach eineinhalb Stunden ist das Moped wieder startklar.

Wenn mir zu diesem Zeitpunkt jemand gesagt hätte, dass es an diesem Tag noch heftiger wird, dann hätte ich müde und gelassen gelächelt….

Die Abfertigung an den Grenzen dauert eine Ewigkeit. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen und meine Lebensmittel muss ich hier abgeben, da eine Einfuhr verboten ist. Draußen strömt es wieder, aber es interessiert mich nicht mehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit darf ich in Chile einreisen und ich mache mich auf den Weg zum Paso Jama. Offiziell ist dieser Pass nur 4200 m hoch, aber meine beiden Navis zeigen mir Höhen von knapp 4900 m an. Es regnet und gewittert abwechselnd bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Ich bin hungrig, müde und warm ist mir schon lange nicht mehr. Als ich eine Steigung hinauffahre, bekomme ich einen Schrecken…das Motorrad nimmt kein Gas mehr an. Die Drehzahl fällt ins Bodenlose und ich muss stehenbleiben. Der Motor stottert und sprotzt. Nur mit Mühe bekomme ich ihn auf Drehzahl, dann hat er aber keine Leistung mehr. Zum wiederholten Mal wäge ich meine Möglichkeiten ab.

Hier oben bleiben und zelten…no way, das Motorrad hier im Regen auseinanderbauen…no way, Abschleppen…kein Handyempfang, Berg runterrollen…geht aber nur bis auch dort die nächste Steigung kommen wird. Ich bin ratlos! Nach fünf Minuten drücke ich auf den Startknopf und der Motor startet normal. Er nimmt auch willig Gas an, worauf ich mich auf das Motorrad setze und vorsichtig den ersten Gang einlege. Und oh Wunder… es bewegt sich vorwärts, langsam und stotternd, aber es fährt! So humpele ich mal wieder an diesem Tag, Meter um Meter vorwärts. Bis zum Tal sind es laut Schilder 134 km. Bei einem Tempo von 15km/h brauche ich also sehr lange. Alle paar Kilometer fällt der Motor wieder aus und nach ein paar Minuten des Wartens startet er wieder willig.

So folgt ein Stopp dem Nächsten und ich komme Kilometer um Kilometer weiter. Zu diesem Zeitpunkt glaube ich, dass die Vergaser vereisen und die extreme Höhe den Rest macht. Nach einem Auftaustopp geht es dann fröhlich weiter, bis diese wieder vereisen.

Es regnet und stürmt immer noch, aber nun wird es auch noch dunkel. Ich bete, dass dieses Pause-Fahrt-Konstrukt solange funktioniert bis es abwärts geht und somit auch wärmer wird. Und so ist es auch. Ich brauche weitere dreieinhalb Stunden, bis der Motor wieder normal läuft und ich ins Tal rolle.

Als ich in San Pedro de Atacama ankomme ist es 22:20 Uhr und ich bin nun seit 14,5 Stunden unterwegs. Ich bin körperlich und mental am Ende. Nichts geht mehr. An der ersten Tankstelle mache ich einen Stopp und versuche ein wenig Kraft zu schöpfen. Ich brauche dringend ein Bett, zelten geht heute nicht mehr. Nach einer Stunde des vergeblichen Suchens nach einem Zimmer gebe ich fast auf. Nichts ist frei, alles ist total ausgebucht! Es bleibt nur die Flucht auf den nächsten Campingplatz. Angekommen teilt mir die freundliche Besitzerin mit, dass zelten hier nicht möglich ist. Es gibt nur Hütten zum Mieten und eine ist noch vakant. Also stelle ich den Motor ab, nehme das Nötigste und beziehe die Unterkunft. Man bietet mir noch etwas zu Essen an, welches ich aber nicht herunterbekomme. Das angebotene Bier zische ich in einem Zuge und falle danach endfertig aufs Bett. Ich schlafe sofort ein, allerdings plagen mich die ganze Nacht Alpträume. Als ich aufwache, ist es bereits 10:00 Uhr und als ich in den Spiegel schaue, erschrecke ich mich über mein Aussehen. Tiefe Falten und dunkele Ränder unter den Augen erinnern mich an den vergangenen Tag. Er geht als wohl heftigster Fahrtag, meiner 35jährigen Motorradkarriere, in die Geschichte ein.

So viel Abenteuer auf einmal ist selbst für mich zu viel des Guten. Das Positive daran ist, ich habe nicht aufgegeben und die Flinte ins Korn geworfen. Ich habe geflucht, geschrien, gekämpft, gebetet und Meter für Meter mein Ziel verfolgt und es schlussendlich erreicht. Aufgeben war nie eine Option.

Heute, zwei Tage später, sitze ich in einem schönen Garten, entspanne und sammele Kräfte für die nächsten Herausforderungen. Gestern habe ich das ganze Motorrad zerlegt und den Fehler gesucht und gefunden. Es waren nicht die Vergaser, sondern eine defekte Mikuni Unterdruck-Benzinpumpe, die in Zusammenhang mit der extremen Höhe ihren Geist aufgegeben hat. Nachdem ich den Reparatursatz eingebaut habe, funktioniert alles wieder wie es soll.

Ich bleibe noch ein paar Tage und genieße die Landschaft. Von hier aus geht es dann quer durch die Atacama Wüste, hoffentlich ohne Probleme, aber wer weiß das schon. Es ist und bleibt halt ein Abenteuer und man weiß nie, was in den nächsten Stunden passieren wird…


13 Antworten zu “#16 Flucht aus den Anden”

  1. Hi Danni,
    Meine Fresse, was du alles auf dich nimmst, das ist schon allen Respekt wert. War toll zu lesen und ich konnte das beschriebene auch gut nachvollziehen. Ich wünsche dir, daß dir auf dem weiteren Weg sowas erspart bleibt.
    Grüße aus dem Schwarzwald
    Schorsch

  2. Hammer Bericht! Toll geschrieben. Allen Respekt für diese Leistung! Und ich fang schon an zu zittern, wenn im zivilisierten Irland ein paar Tropfen Öl unter meinem Mopped glänzen. Das nächste Mal denk ich dann an Deine Abenteuer!

    Also (nicht weiterhin, sondern demnächst:) gute Fahrt!
    Werner aus deiner Heimat

    • Hallo Danni,Respekt und Hut ab was du alles durchmachst.
      DMAX würde daraus eine Serie machen !
      Viel Erfolg und gutes gelingen weiterhin.

      Werd am Wochenende bei der Black Eagle Party auf dich anstoßen 😉

  3. Hey Danni!
    Altobelli.. Liest sich ja wie ein Krimi! Behalte Dir
    Dein „never give up“ bei, nach Regen kommt Sonne…
    Dir weiter eine Gute Reise, vielleicht die nächsten Tage etwas ruhiger:-)
    LG aus Lingen Reinhard

  4. Alter Schwede 😉
    was für ein Bericht,unglaublich. Was für Herausforderungen an einem Tag. Kein Wunder, das du körperlich und mental völlig fertig warst. Chapeau!, für deinen Mut und deine Einstellung nicht aufzugeben, weil sich dann immer irgendwie ein Weg auftut, Das Coca-Blätter helfen hat mir ein Bekannter, der in Peu wandern war, auch erzählt (wissenschaftlich soll es nicht erwiesen sein, aber was weiß schon die Wissenschaft alles noch nicht. Ich hoffe deine Symptome sind abgeklungen und du kannst dich jetzt nach den Strapazen gut erholen. Tolle Berichte, tolle Bilder. Ich freu mich Neues. Auf ein kühles Blondes, Prost aus Bremen.
    Allseits, sichere Fahrt.
    LG Axel

  5. ..harter Tobak da drüben, aber beiß Dich weiter durch – das Positive bleibt mehr in Erinnerung 🙂
    Tolle Berichte, man ist bildlich bei Dir – genieße die Zeit trotzdem und komm gesund zurück
    Gruß Mike

  6. Du hast auf der „Eagles-Party“ gestern Abend gefehlt. Warst aber trotzdem aufgrund deiner Erlebnisse in aller Munde. Denken oft an Dich und lesen mit Begeisterung deine Blogs.
    Bleib gesund und immer eine Handbreit Asphalt (Schotter) unter den Reifen.
    Lg Diana und Jürgen

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