#12 Ushuaia, Fin del Mundo

#12 Ushuaia, Fin del Mundo

Als ich die Torres del Paine verlasse, werde ich noch mit einer schönen Aussicht auf die wolkenlosen Türme belohnt. Mir hat es hier ausgesprochen gut gefallen, man muss aber auch erwähnen, dass es noch vor den Weihnachtsfeiertagen ist und somit die Hochsaison noch nicht begonnen hat. Ab spätestens Januar ist hier die Hölle los und man sollte den Campingplatz mindestens sechs Monate im Voraus buchen. Dies ist zum Beispiel einer der Gründe, warum ich recht schnell in den Süden gefahren bin. Ich wollte das Naturschauspiel möglichst ruhig erleben.

Als ich den Nationalpark in Richtung Süden verlasse, ist die Strecke auf den ersten 40 km ausgesprochen schön. Die Bergwelt öffnet sich zum Meer hin mit weit ausladenden Tälern und breiten Flüssen.

Da ich noch Benzin und Proviant benötige, fahre ich in die Stadt Puerto Natales. Die Stadt ist mit 20.000 Einwohner für patagonische Verhältnisse recht groß und lebt von der Fischerei und vom Tourismus. Von hier aus starten die Ausflüge in die anliegenden NP, man kann Pinguine beobachten, per Schiff die Fjordwelt erkunden oder Gletschertouren buchen. Während ich so durch die Stadt tuckere und mir alles in Ruhe ansehe, verspüre ich keine Sympathie für den Ort. Es mag an den vielen Menschen, an den vielen Touristen oder einfach daran liegen, dass es grau in grau ist und der eisige Südwind vom offenen Meer direkt in die Stadt peitscht. Nachdem alles Nötige aufgefüllt ist, verlasse ich die Touristenhochburg wieder. Warm in Daunenunterwäsche eingepackt, den Regenkombi darüber gestreift und die Heizgriffe eingeschaltet fahre ich gemütlich weiter Richtung Süden.

Am Wegesrand steht ein großes Straßenschild auf dem steht …“Ruta del Fin del Mundo“   „Die Straße zum Ende der Welt“. Das sind die Augenblicke, von denen ich in meiner Phantasie immer geträumt habe…. Das dieses jetzt tatsächlich passiert, erscheint mir teilweise immer noch recht surreal und ich muss mir dieses immer wieder bewusst machen, wo ich hier bin und was ich hier gerade mache.

Ja, ich lebe meinen Traum! Dieses bewusst zu erleben, gibt ein sehr tiefes und beruhigendes Gefühl, so als tut man das Richtige.

Die Strecke wird öder und öder. Nichts, was den Augen ein wenig Abwechselung bieten könnte, nicht mal eine Kurve oder irgendetwas Anderes. So fahre ich in meditativer Stille meine Kilometer.

Sonor läuft der V2 Motor und der etwas zu laute Auspuff brummt vor sich hin. Ich habe einen mechanischen Tempomat eingebaut, der hier fantastische Dienste leistet. Nachdem man den kleinen

Hebel an dem Gasgriff mit dem Zeigefinger auf den Bremshebel drückt, arretiert er die Gasrolle durch einen ausgeklügelten Klemmmechanismus. Entspannt lehne ich mich an meine Gepäckrolle, verschränke die Arme und fahre die nächsten 20km freihändig. Dies funktioniert natürlich nur bei Rückenwind.

Mein heutiges Tagesziel ist Punta Arenas. Eine Industriestadt an Rande der Magellanstraße, von der ich morgen auf die Insel übersetzen möchte. Schnell komme ich vorwärts und bin bereits um 15:00 Uhr da. Ich fahre direkt zum Fährhafen, um mir ein Ticket für die Überfahrt zu sichern. Als ich zum Anleger komme, sehe ich, dass gerade eine Fähre beladen wird. Als sich herausstellt, dass das Schiff meinen Wunschhafen ansteuert und es noch einen Platz gibt, befinde ich mich 30 Minuten später auf dem Oberdeck und passiere die Magellanstraße. Diese geschichtsträchtige Seestraße, die den Seeleuten so mach stürmische Nacht erspart hat, da man nicht um das Kap segeln musste, sondern es eine landgeschützte Passage gab. Die See ist sehr ruhig, komischer Weise ist es auch nicht mehr windig, die tiefen grauen Wolkenmassen verschmelzen am Horizont mit dem gleichfarbigen Meer. Eine Trennungslinie ist nicht mehr zu erkennen. Auf dem Schiff plärren wieder überlaute Fernseher irgendeinen Mist, der selbst den einheimischen Mitreisenden anscheinend auf die Nerven geht. Schnell suche ich mir ein windgeschütztes Plätzchen auf dem Achterdeck und halte ein verdientes Schäfchen.

Porvenir empfängt mich mit Regen bei 10’C. Meine Entscheidung ist schnell getroffen und ich suche ein Hostel, zelten muss bei dem Wetter nicht sein. Maria hat ein kleines Haus oder nennen wir es besser Hütte, indem fast alle Zimmer für Reisende umgebaut sind. Als sie die Haustür öffnet, ist mir das alte Mütterchen direkt sympathisch, sie lacht mich mit ihrem Goldzahn an und aus der Behausung strömt ein leckerer Geruch nach etwas Gebratenem. Die Zimmer sind sehr einfach und mit so vielen Betten vollgestellt wie halt hineinpassen. Das hat zur Folge, dass man seinen Hintern kaum drehen kann. Aber was soll es, es ist warm, trocken, es duftet verführerisch und ich brauche mein Zelt nicht aufzubauen. Maria nimmt 13 € für die Übernachtung, inklusive Frühstück und einem tatsächlich schnellen Internet. Nach einer heißen Dusche setze ich mich in die Küche, in der ein Kohleherd seinen Dienst tut. Es ist so warm, dass ich mir meine kurze Hose und ein T-Shirt anziehe.

Ich esse mir meine mitgebrachten Empanadas und trinke ein Bier dazu. Schön einfach nach einem anstrengenden Tag zur Ruhe zu kommen. Alle 15 Minuten klingelt es an der Tür und Personen unterschiedlichsten Alters kommen herein, reden kurz mit Maria, worauf diese dann durch eine Hintertür verschwindet. Nach wenigen Minuten kommt diese dann mit einer kleinen Tüte wieder, welche sie den Wartenden übergibt. Geld wechselt den Besitzer und es wird sich verabschiedet. Dies geht ungefähr fünfmal so, bis ich mir darüber Gedanken mache, was hier wohl passiert. Habe ich den Drogenumschlagplatz Nummer eins gefunden? Man weiß ja nie. Auf jeden Fall wäre das Hostel mit dem herzlich wirkenden Mütterchen die beste Tarnung für so ein Business. Als der Moment günstig erscheint, frage ich Maria einfach, ob ich nicht auch so eine Tüte kaufen könne. Sie bejaht meine Frage und verschwindet wieder durch die Hintertür. Kurze Zeit später halte ich die zweifelhafte Tüte in den Händen und öffne sie. Tja, da lag ich mit meinen Annahmen nicht ganz falsch. Es handelt sich tatsächlich um eine Tüte voll mit gut duftenden Naturkräutern. Nein, kein Marihuana, sondern Minze, Kamille, Stevia und Zitronenmelisse. Es duftet hervorragend. Maria nimmt ein paar Stängel aus der Tüte, reibt sie kurz zwischen ihren Händen, legt sie in eine Tasse und überbrüht sie mit heißem Wasser. Der frische Tee schmeckt fantastisch.

Gut gewärmt gehe ich ins Bett, lasse noch einmal meine Blicke durch mein Zimmer kreisen. Mir fallen die Bettgestelle auf, die man vorher nicht richtig sehen konnte. Es müssen Betten aus einem alten Krankenhaus sein, massive Eisenbetten, mit hohem Kopf und Fußteilen, bestimmt einhundert Jahre alt. Die Betten machen mir allerdings im Gegensatz zu den Bettdecken keine Gedanken. Diese Decken haben bestimmt ein sehr ähnliches Alter wie die Betten und können wahrscheinlich noch Geschichten aus dem ersten Weltkrieg erzählen. Mehr mag ich mir nicht mehr vorstellen, denn ich muss noch die ganze Nacht darin verbringen….

Das Frühstück ist für hiesige Verhältnisse üppig und ich bin fix wieder auf der Straße. Bis nach Ushuaia sind es noch 437 km, davon ca. 180 km Schotter. Mein Tank ist voll und mit meinen 43 Litern Volumen komme ich bei meiner Fahrweise auf knapp 900 km Reichweite. Das hört sich viel an, ist aber immer ein sicheres Gefühl, da hier an argentinischen Tankstellen auch schon mal das Benzin ausgeht und der nächste Zapfpunkt 300 km entfernt ist.

Meinen Plan, unterwegs zu Campen, verwerfe ich schnell. Es regnet und windet bei einstelligen Temperaturen. Auf den ersten Kilometern gibt es eine schöne Schotterpiste direkt am Meer entlang. Danach nur noch Einöde. Irgendwann passiere ich die Grenze nach Argentinien und die Abwicklung geht fix.

Ich rechne nicht mehr damit, dass sich die Landschaft bis nach Ushuaia ändert, sondern dass sie so eintönig bleibt. Jedoch verändert sich nach und nach die Umgebung. Erst wird es ein wenig hügeliger, dann die ersten Büsche, die ersten Bäume und dann werden aus den Hügeln Berge. Zu allem Überfluss reißt noch der Himmel auf und die Sonne lässt die Landschaft erstrahlen.

Innerhalb von 30 km bin ich plötzlich wieder in einer schönen Bergwelt unterwegs. Die Sonne wärmt und ich kann mein Glück kaum fassen. Hier ist es sehr schön. Zu meiner Freude ändert sich die Landschaft bis zu meinem Zielort nicht mehr. Als ich um eine letzte Kurve komme, sehe ich dann das Eingangsportal in die Stadt Ushuaia. Während ich ein paar Fotos schieße, fängt es wieder an zu regnen und zu hageln.

Für die Weihnachtsfeiertage habe ich mir in Ushuaia ein Zimmer bei einer argentinischen Familie gemietet. Wie sich herausstellt ist dies ein richtiger Glücksgriff. Ich bekomme ein sehr schönes Zimmer, mit neuen Bettdecken, einem bequemen Bett und im Haus gibt es sogar ein Wasserklosett, indem man sogar das Papier entsorgen darf. Caro und ihre Familie empfangen mich königlich, denn ich bin ihr erster Gast. Sie ist Architektin und hat das moderne lichtdurchflutete Haus selbst entworfen. Ich fühle mich richtig wohl und bin froh, dass ich diese Adresse gefunden habe, denn ich werde hier die Weihnachtsfeiertage verbringen.

Es ist bereits 22:15 Uhr als die Tochter des Hauses mich fragt, ob ich noch etwas essen mag. Ich überlege noch, als sie erwähnt, dass sie jetzt in die Stadt fahren wollen um essen zu gehen…! Bitte was !? Wir haben schon fast Schlafenszeit und hier geht man noch essen. Mir ist es dafür zu spät und ich verneine. Die Familie zockelt los und kommt mit gefülltem Bauch um 1:15 Uhr nach Hause. Genau so passiert es am Heiligen Abend. Während in Deutschland schon alle wieder zuhause auf ihrer Couch liegen, trifft man sich hier in Argentinien zum Familientreffen erst ab 21:30 Uhr, gegessen wird dann ab 23:00 Uhr. Überall in der Nachbarschaft steigen blaue Rauchwolken von den riesigen Grills auf, aus jeder Ecke schallen krächzende Lautsprecher um ihr Leben. Es herrscht Volksfeststimmung. Die ganzen Veranstaltungen dauern dann, wie alles hier, bis tief in die Morgenstunden. Selbst bei meiner Gastfamilie sieht die zehnjährige Tochter noch bis um 2:00 Uhr Fernsehen. Sachen, die bei uns unmöglich wären! Aber andere Länder, …andere Sitten.

Die nächsten Tage heißt es Wäsche machen, Motorradinspektion durchführen und Kräfte sammeln.

Von hier aus geht es in drei Tagen dann los…auf nach Alaska, ca. 55.000 km durch alle Klimazonen, durch Wüsten, über hohe Pässe und durch viele Länder. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen und während ich das hier schreibe, bekomme ich schon ein wenig Herzklopfen und spüre freudige Aufregung. Angst, nein Angst habe ich nicht. Respekt vor den Herausforderungen, ja das schon und das sollte man auch. Denn es wird noch vieles passieren, womit niemand gerechnet hat…

Ich wünsche Euch allen eine besinnliche und frohe Weihnachtszeit!!


5 Antworten zu “#12 Ushuaia, Fin del Mundo”

  1. Danni, ich wünsche Dir ruhige und besinnliche Weihnachtstage!

    Mit Spannung, und ein wenig Neid, verfolge ich Dich und deinen Blog.
    Dein Mut für die Reise ist bewunderungswürdig und ich drücke Dir
    die Daumen dass Du nicht auf unüberwindbare Hindernisse triffst.
    Lebe weiter Deinen Traum!

    Gruß aus dem fernen Deutschland
    Klaus

  2. Hallo Danni,

    wieder ein sehr schöner Bericht und tolle Bilder !

    Eine Bitte:
    Wäre es möglich Deine schönen Bilder wieder, wie am Anfang, als vergrößerbare Bilder einzufügen.
    Dann wirken sie einfach noch deutlich besser als die „Laufbandbilder“ 😉

    Ich wünsche Dir noch eine toll Zeit auf Deinem Weg in den hohen Norden.
    Gruß !
    Achim

  3. Servus Danni
    Es macht riesig Spaß Dich in Deinem Blog zu begleiten – dazu noch gute Fotografie und schön geschrieben – super gut!!
    Jetzt wünsche ich Dir noch, dass Du gut in ein traumhaftes neues Jahr kommst voller guter Erlebnisse.
    LG Friedo

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