Es ist früh als ich aufwache und es regnet und windet noch sehr. Wir werden trotzdem gleich aufbrechen und versuchen das Regentief zu durchfahren. Laut Wetterradar ist es ein mächtiges, aus der Antarktis kommendes Tief, wie so häufig hier.
Die extrem kalte Luft verdichtet sich über dem Pol und wird dann durch die Corioliskraft in Rotation versetzt. Hinzu kommen die „Roaing Forties“. Jene Winde, die seit Anbeginn der Seefahrt die Umrundung des südlichsten Kaps Amerikas zur lebensbedrohlichen Aufgabe machen.
Die Winde sind deshalb so stark, da sie von nur sehr wenig Landmassen auf diesem Breitengrad abgebremst werden. Beides, die Tiefs und die Winde treffen dann in Riesenwirbeln auf die westlichen Landmassen und regnen sich dann wochenlang ab.
In der Nacht wurde es im Hostel noch recht voll, denn der Fährbetrieb zur Halbinsel Chiloe wurde aufgrund des Wetters eingestellt. Zwei Radreisende schlafen auf ihren Isomatten vor der Gemeinschaftstoilette und sind sehr froh darüber, ein trockenes und warmes Plätzchen zu bekommen. Wir frühstückten ausgiebig und bereiteten uns mental auf einen sehr heftigen Regentag vor. Als wir mit unserem Gepäck vor die Tür treten nieselte es nur noch. Schnell verabschieden wir uns von den Gastgebern die uns in den letzten zwei Tagen recht familiär aufgenommen haben. Im Laufe des Vormittags bleibt es dann zum größten Teil sogar trocken und wir geniessen wieder die unglaublichen Aussichten, die die Carretera Austral zu bieten hat. Lupinen in rosa und pink säumen abwechselnd mit gelben Ginsterwäldern den Wegesrand. Wir kommen gut vorwärts. Da die Piste hier teilweise recht staubig ist, fahren wir nicht direkt hinter einander, sondern lassen immer mehrere 100m Distanz zwischen den Fahrzeugen.
Nach guten zwei Stunden mache ich dann vorausfahrend einen Stop und warte auf meinen schweizer Begleiter. Ich mache mir schon Gedanken und überlege zurück zu fahren, als ich seine Scheinwerfer am Ende de Straße erblicke. Aus einiger Entfernung sehe ich schon, dass es ein Problem gibt. Der Motorschutz seiner BMW ist abgerissen und schleift über den Schotter. Roli hatte ihn provisorisch mit einem Strick hochgebunden. Eine „Ferreteria“ sprich Eisenwarenhandel ist schnell gefunden und wir fixieren den Schutz mit Hilfe von zwei langen Schlauchschellen an den Krümmern. Uns ist aber auch klar, wir müssen das Problem vernünftig reparieren, denn es folgen nun noch knapp 800km Schotter, teilweise mit ausgesetzten Stellen.
Als wir gegen 13:30 Uhr mit trockener Kleidung in Coyhaique eintreffen, überlegen wir was am Besten zu tun ist. Roli hat den Namen eines Mechanikers der hier im Ort eine kleine Werkstatt betreiben soll. Wir beschließen diesen zu suchen. Bei der weiteren Fahrt durch die Stadt kommen wir an einer geparkten BMW GS vorbei und Roli stoppt, um den Eigentümer nach einer Wegbeschreibung zu fragen. Es ist ein sehr großes Haus mit einem gepflegten Vorgarten in dem ein Fahnenmast steht. Oben an, weht eine große Landesflagge im kräftigen Wind.
Die Tür wird geöffnet und wir fragen nach dem Eigentümer des Motorrades. Nach kurzen hin und her folgt ein Telefonanruf und der Besitzer erscheint mit seinem Auto vor dem Haus. Aus diesem steigt ein kräftiger sportlicher Mann Mitte 45 und trägt die Uniform der chilenischen Armee.
Wir stellen uns gegenseitig vor und schildern das Problem. Felipe ist Soldat und lädt uns direkt in sein Haus ein. Die ganze Familie inklusive Haushälterin und Katze werden uns vorgestellt. Schnell werden Heißgetränke und Sandwiches gebracht und wir nehmen alle in dem geräumigen Esszimmer Platz. Ximena, seine Frau und die drei Söhne möchten wissen wo her wir kommen und wie wohl wir uns in Chile fühlen. Alle sprechen englisch, was für Chile sehr selten ist. Es vergeht eine gute Stunde indem wir über alles und die Welt reden, es wird viel gelacht. Auf unsere Nachfrage hin erzählt der Hausherr, er sei der zweite Befehlshaber des südpatagonischen Battalions und wir müssten uns nun um nicht mehr vieles Gedanken machen. Falls wir, womit auch immer, ein Problem hätten, müssten wir ihn nur kurz telefonisch Informieren und er wird alles tun um uns zu helfen. OK, auch gut denke ich, unter direkten Schutz der chilenischen Armee zu stehen, kann nie verkehrt sein. Seine Telefonnummer wird direkt unter „Mon Colonell“ in mein Handy gespeichert und ich hoffe diese nie benutzen zu müssen.
Wir fahren zu der kleinen Werkstatt und Wim der Inhaber der PatagoniaBikeAdventura begutachtet den Schaden. Die Silentblöcke sind nun nach 180.000km durch die ganze Welt abgerissen und müssen ersetzt werden. Das Motorrad kann am nächsten Morgen wieder abgeholt werden. Wim wiederum empfiehlt uns ein sauberes Hostel, indem wir gut und sicher untergebracht sind. Felipe geleitet uns zu unserer Schlafstätte und es wir sich herzlich verabschiedet.
Nach einer heißen Dusche und einem Kaffee liege ich auf dem Bett und denke,….“Mensch was für ein Tag mal wieder“ was für Situationen, was für Menschen, was für Lösungen, wenn man das jemanden erzählen würde.
Die Tür öffnet sich und Roli kommt strahlend in den Gemeinschaftsschlafraum des Hostels. Er fragt, ob ich heute schon etwas vor habe. Er habe da jemand kennengelernt und mit dem gehen wir heute Abend ein Bier trinken. Dies wäre eigentlich nichts komisches, denn der Schweizer ist äußerst kommunikativ, wenn da nicht dieses breite Grinsen wäre. Er erzählt von einer jungen Holländerin die alleine mit ihrem Motorrad unterwegs sei, er habe sie getroffen und auf ein Bier eingeladen.
Mir fallen keine Worte mehr ein, denn ich weiß sofort von wem hier die Rede ist. Es gibt momentan nur eine Niederländerin die alleine in Chile unterwegs ist. Noralie alias Itchyboots, ist seit einem Jahr mit ihrer Royal Enfield unterwegs , ist in Indien gestartet und ist die aktuell erfolgreichste Influrenzerin im Bereich Motorradreisen. Das heißt, sie dokumentiert ihre Reise in Videos, welche man sich bei Youtube ansehen kann und ist sehr aktiv auf Facebook und Instagram. Aktuell folgen Noralie auf Youtube rund 300.000 Follower und ihre Videos erreichen innerhalb von zwei Tagen 75-150.000 Aufrufe. Ich selber verfolge ihren Blog schon, seitdem sie sich ihr Motorrad in Indien gekauft hat und damit über den Landweg nach Europa zurück gefahren ist. Dabei fuhr sie alleine 36.000km durch 18 Länder. Aktuell hat sie den selben Weg vor sich wie ich, von Patagonien nach Alaska.
Wir gehen noch eine Kleinigkeit essen und kaufen zwei 6-Packs Bier ein. Als Noralie und Jason, ein Radreisender aus Neuseeland, erscheinen begrüßen wir uns herzlich. Es folgt ein kurzweiliger Abend, mit interessanten Infos und erlebten Geschichten. Roli hat auf seinem Fahrrad 80.000km und mit dem Motorrad bereits 180.00km die Welt erkundet, Jason ist mit dem Rad den Pamir Highway, quer durch Australien und vieles andere gefahren und Noralie ist seit eineinhalb Jahren Reisende. Eine bessere Abendunterhaltung kann ich mir kaum vorstellen. Es wird spät an diesen Abend als ich in mein Bett falle.
Am nächsten Morgen holen wir früh das reparierte Motorrad ab und machen uns wieder auf den Weg Richtung Süden. Nach 80km Asphalt wechselt der Belag zu Schotter, welcher uns für die nächsten 800km begleiten wird. Es ist frisch geworden. Das Thermometer im Cockpit zeigt nur noch 8’C an, der Wind ist kalt und heftig. Auch der Wind wird uns ab nun bis an des Ende des Weges nach Ushuaia begleiten. Noralie erzählte, dass teilweise die Strecke gesperrt wurde, da LKW’s einfach vom Sturm umgeblasen wurden. Hinzu kommt, dass die Piste aus loser Schotterschüttung besteht und man nur eine Fahrspur von maximal 30cm hat. Dies alleine ist schon schwierig genug, da mein heftig beladenes Fahrzeug nicht einfach auf extrem losen Untergrund zu händeln ist. Aber mit dem Wind, der dich plötzlich um zwei Meter seitlich versetzt, wird die Bewältigung der Strecke ein ganz besondere Herausforderung werden. Ich bin gespannt und voller Respekt.
Woran merkt man unterwegs, dass man in Patagonien ist? Ganz einfach!
An allen Straßenbaustellen sind Dixie-Klos für die Arbeiter aufgestellt. Soweit nichts besonderes. Allerdings werden hier in Patagonien die Plastikhäuschen mit Seilen abgespannt um sie gegen ein Umblasen zu sichern. Kein schöner Gedanke beim morgendlichen Geschäft in einem Dixie umgeworfen zu werden. Bestimmt ist dies schon mehrfach passiert, sonst würde man sie nicht abspannen.
An diesen Abend mieten wir uns eine kleine aber komfortable Hütte, wir haben keine Lust unser Zelt aufzuschlagen. Wir kochen uns eine Suppe und entspannen am Kaminofen. Wir müssen unsere Kräfte schonen, denn der heftigste Teil, bis nach „Fin del Mundo“… ans Ende der Welt, liegt noch vor uns…
@DanniMoto