Seit zwei Tagen bin ich nun in Chile. Die Anreise über Toronto hat reibungslos funktioniert, war aber insgesamt mit fast 40 Stunden von Tür bis Tür doch sehr anstrengend.
Chile empfängt mich am Flughafen in Santiago de Chile mit einem wolkenverhangenen Himmel bei 14’C. Die Abfertigung bei der Einreise dauert nur 5 min, jedoch warte ich auf meine Tasche gute 90 min. Beim ersten Schritt aus dem Flughafengebäude merkte ich sofort… ja, nun bist du in Südamerika. Lautes buntes Treiben gepaart mit der Hektik eines jeden Flughafens.
Ich steige in den nächsten Bus und fahre zum zentralen Umsteigepunkt. Nach einem Kaffee am Straßenrand suche ich den Ticketschalter und kaufe mir eine einfache Fahrt nach Vina del Mare für 3700Pesos, das sind ca. 3,50€ für eine 100km lange Fahrt. Da es in Chile keine großen Bahnverbindungen gibt, wird fast alles mit Busverkehr abgewickelt. An dem Busterminal herrscht daher enormes Treiben, ca. 2 ausgebuchte Busse verlassen minütlich den Busbahnhof in alle Richtungen des Landes.
Nach gut 1,5 Stunden komme ich dann in Vina del Mare an und werde von Günter abgeholt.
Günter ist pensionierter Journalist aus Deutschland und hat für verschiedene sehr große Printmedien gearbeitet. Vor 15 Jahren lies er sich dann in an der Küste mit seiner chilenischen Frau nieder und vermietet nebenher 2 Gästezimmer. Das Häuschen liegt oberhalb von Vina an den Hängen, kurz vor den Armenvierteln. Nach einer freundlichen Begrüßung und nach ein paar Bierchen falle ich tot ins Bett.
Nach einem ausgiebigen Frühstück fahren wir am nächsten morgen in die Stadt um mir eine Telefonkarte mit einem Datenvolumen zu kaufen. Vina präsentiert sich bei strahlendem Sonnenschein und 22’C von seiner besten Seite. Quirlige Straßenzüge gefüllt mit allem was man sich in einer lateinamerikanischen Stadt vorstellen kann.
Eine Telefonkarte ist schnell gekauft und kostet 2000Peso ohne Guthaben, um diese aufzuladen muss man dann z.B. in eine Apotheke gehen um sie dort aufzuladen… warum man das in der Filiale des Netzanbieters nicht machen kann, erklärt mir der freundliche Verkäufer, jedoch verstehe ich schon lange nicht mehr was er mir alles erzählt..!
Soweit so gut..! Als ich mir dann meinen verdienten Kaffee zur Belohnung trinke, ändert sich innerhalb einer guten Stunde die gesamte Stimmung in der vorher noch so entspannten Atmosphäre.
Die ersten Demonstranten ziehen mit Trillerpfeifen und Töpfen bewaffnet zum zentralen Punkt in der Stadtmitte. Nach und nach sieht man dann auch die ersten gepanzerten Einsatzfahrzeuge der Polizei und Armee. Bei den Demonstranten handelt es sich um einen kompletten Querschnitt der Gesellschaft, von Müttern mit ihren Kindern, Schülern, ob alt oder jung, alles ist vertreten.
Auffällig ist, dass viele der jungen Männer an ihrem Rucksäcken Gasmasken und Schutzbrillen sowie Helme jeglicher Art befestigt haben. Auch wurden Satelittenschüsseln zweckentfremdet und als Schutzschild umgerüstet. Die Stimmung ist ausgelassen, aber nicht bedrohlich, eher wie auf einem Volksfest. Nachdem ich mir alles in Ruhe angesehen hatte, verlassen wir den Marktplatz um noch zu einer Bank zu fahren.
Eine viertel Stunde später fahren wir dann unbekümmert mit dem 4×4 VW Touran weiter Richtung Hafen.
Was plötzlich auffällt, wir sind eines der ganz wenigen Fahrzeuge die noch auf der Straße unterwegs sind. Nach der nächsten Abbiegung kommen schon schwarze Rauchschwaden aus den Seitengassen und bevor wir uns versehen befinden sich direkt hinter uns mehrere gepanzerte Fahrzeuge und mehrere dutzende Einsatzpolizisten bewaffnet mit Schlagstöcken und Tränengaswerfern. Da wir das Auto nicht drehen können müssen wir dem Straßenverlauf folgen. Links und rechts der Straße sieht man nun Demonstranten die sich hinter Häuserecken verstecken um möglichst nah ihre Steine nach den Polizisten zu werfen. Die Lage wird haarig, als wir plötzlich in einem Kreisverkehr stehen. Fast alle Ausfahrten sind mit Straßenbarrikaden blockiert und überall brennen Autoreifen.
Die Straßen sind über und über mit faustgroßen Steinen und zerborstenen Flaschen bedeckt. Ich sehe mich um und stelle fest….Scheiße wir stehen mittendrin!
Auf der einen Seite die mehr als entschlossenen Demonstranten und auf der anderen Seite die zahlenmäßig unterlegen, dafür aber besser bewaffneten Polizisten. Trotzdem ist die Stimmung eher ruhig und abwartend. Keine Hektik, eher bedachtes Handeln. Günter erkennt eine Möglichkeit aus dem Kreisverkehr in Richtung der Demonstranten zu flüchten. Als wir näher kommen öffnet Günter das Autofenster und ruft dem Mopp so etwas zu wie….“Viva la Revolution“ , worauf die Demonstranten sofort einstimmen und uns über ihren offenen gelassenen Fluchtweg passieren lassen.Natürlich gibt es hier auch kleine und größere Hindernisse und Schanzen, bei dessen Umfahrung wir sehr froh über den vorhandenen Vierradantrieb sind. Auf dem Weg weiter aus dem Chaos passieren wir noch zwei Läden die gerade geplündert werden. Dazu hatte man die heruntergelassenen Stahlschalosien mit einem Auto und einer Abschleppkette aus ihrer Verankerung gerissen und dann in die Scheiben eingeschlagen.
Aber jetzt kommt das Verrückte….! Keine 700m davon entfernt haben die Cafes offen und man sitz in der Sonne bei einem leckeren Cortado und unterhält sich. In der Hand hat man ein Tuch um dem Tränengas zu trotzen. Das normale Leben und das Chaos gehen hier im Augenblick Hand in Hand….ich habe dafür keine Worte, einfach unglaublich.
Auf unserem weiteren Weg nach Hause sehe ich, dass man dabei ist fast alle Geschäfte und Banken mit Stahlplatten zu verschweißen um sich vor den Plünderungen zu schützen.
Insgesamt wurden in der Hauptstadt Santiago de Chile und anderen Städten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch 114 Geschäfte geplündert, 30 Gebäude in Brand gesetzt und 20 Polizeireviere angegriffen, wie das Innenministerium mitteilte. Es seien 347 Polizisten und 46 Demonstranten verletzt und 1020 Menschen festgenommen worden.
Ich bin jetzt keine 48h Stunden in Chile und habe nur die Basis Infos aus den Medien und von Günter. Aber ich kann es mehr als verstehen, dass das Volk hier und in ganz Lateinamerika die Schnauze voll hat.
80% der Bevölkerung, sprich der durchschnittlicher Arbeiter verdient hier ca. 400 – 500,- € im Monat, allerdings sind alle Lebenshaltungskosten genau so teuer wie in Deutschland. Ein Kaffee kostet 2,-€ und ein Liter Sprit 1,10€. Alle Bodenschätze werden von privaten Investoren abgebaut und auf dem Weltmarkt verkauft. Das gemeine Volk sieht davon nichts, abgesehen von den Hungerlöhnen in den Mienen.
Aktuell kocht in ganz Lateinamerika die Unzufriedenheit der Bewohner in vielen Ländern hoch.
In Chile war es die relativ unbedeutend erscheinende Erhöhung von Metropreisen, die zu den größten Protesten geführt hatten. In Bolivien stehen sich nach einer vermutlich manipulierten Präsidentschaftswahl und dem Rücktritt und Exil von Ex-Präsident Evo Morales zwei Blöcke unversöhnlich gegenüber. In Ecuador musste Präsident Lenín Moreno Anfang Oktober nach schweren Protesten die Streichung von Subventionen für Treibstoff zurücknehmen und in Kolumbien machten die Demonstranten am vergangen Freitag ihrem Unmut über wirtschaftliche Ungleichheit, Gewalt gegen Indigene und Aktivisten sowie Korruption Luft.
Diese gesamte politische Situation in Südamerika war zu Beginn meiner Reise-Planung nicht im Ansatz zu erkennen und als das Motorrad auf dem Seeweg war, waren die Würfel gefallen.
Wie gesagt, das Chaos lebt hier parallel mit dem normalen Leben und alle Chilenen sind sehr entspannt. Deshalb mache ich mir erstmal keinen Stress mit einer möglichen Umplanung.
Achso, dass hatte ich ja schon fast vergessen. Gestern Abend bekam ich einen Anruf meines Speditionsagenten. Das Zollgebäude, wo ich meine Dokumente bekommen soll wurde gestern zwei mal evakuiert, als es mit Molotov-Cocktails beworfen wurde. Auch ist der Hafen großräumig mit Straßensperren blockiert und die Arbeiter kommen nicht auf das Gelände. Die Abholung des Motorrades wird wohl noch ein wenig dauern… Aktuell warte ich auf telefonische Neuigkeiten von meinem Spediteur.
Bis dahin…Danni

@DanniMoto
5 Antworten zu “#5 Bienvenidos Chile, mit einem lachenden und einem weinenden Auge.”
Na, da bist du noch nicht einen Kilometer auf dem Bock gesessen, da hat dein Abenteuer schon angefangen!
Pass auf dich auf – geh den Unruhen aus dem Weg – wir wollen dich in einem Stück wiedersehen!
LG Jens
Moin Danni,
das ist ja mal ein fulminanter Auftakt Deiner Reise! Unglaublich, scheinst aber noch sehr gelassen zu sein, gut so..
Das ist ja eine verrückte Situation, die Menschen sind definitiv mit andren Problemen konfrontiert als wir verwöhnten West-Europäer. Über was für Dinge wir uns hier einen Kopp machen, beschämend.
Ich hoffe dass mit Deinem Bike alles gut klappt, erstmal viel Geduld!
LG aus dem bei bei 11 Grad verregneten Biene von Reinhard
Moin Danni, cooler Bericht. Kennt man ja eher aus dem Fernsehen. Paß auf Dich auf und habe eine gute Zeit.
Werde auf jeden Fall öfter mal reinschauen und bin schon gespannt auf mehr Berichte von Dir.
LG
Klaus
Das fängt ja abenteuerlich an…. Denke das du wenn die wissen das du Touri bist, dich in Ruhe lassen.
Wünsche Dir schöne Erlebnisse und am wichtigsten: Gesund bleiben!
Freue mich auf den nächsten Bericht
Jörg aus Hamm
Ich wünsche dir alles Gute. Endlich mal das Leben spüren. Dagegen haben wir in Deutschland echte Luxusprobleme. Deinen Artikel finde ich super. Wusste gar nicht, dass du so gut schreiben kannst. Hattest du die niedliche, kleine Journalistin mit dem Akzent hier noch nicht vorgestellt? Wenn du soweit bist, komme ich dich besuchen .
Pass auf dich auf
Reini